Besuch bei der Strickgruppe

Stricken ist Altbacken? Von wegen. Sogar das Topmodel Cara Delevingne teilte der Welt via Twitter mit: „Stricken ist Bombe!“ Das wissen Naberner Frauen schon lange. Seit mindestens 35 Jahren trifft sich regelmäßig eine Gruppe, um gemeinsam zu stricken.

Aber das wäre hier nicht erwähnenswert, wenn es dabei bliebe. Was das Stricken mit der Naberner Orgel und mit der Aktion „Brot für die Welt“ zu tun hat und noch vieles mehr können Sie hier lesen:

Maschenprobe – Nadelstärke – Rippenmuster – links – rechts – aufnehmen – abnehmen – abketteln – Stricken ist wieder „in“.
Von „urban knitting“ liest man in Trend-Zeitschriften und im Internet.

In den großen Städten kann man sehen, was damit gemeint ist: Street-Art-Künstler schlagen weich und wollig zu, umhäkeln Bäume, verzieren Sitzbänke und Straßenlaternen oder verschönern ihre Fahrräder und Flip-Flops. Viele junge Frauen und Männer entdecken die Kunst des Strickens neu für sich und haben ganz offensichtlich Freude daran, etwas einzigartiges und kunstvolles aus Wolle zu schaffen.

Für manche ist das Stricken auch zu einer sogenannten work-life-balance geworden oder ist das „neue Yoga“, wie in einem Artikel aus den USA zu lesen ist. Der US-Kardiologe Herbert Benson konnte sogar nachweisen, dass das rhythmische Klappern der Nadeln beruhigend wirkt und den Blutdruck senkt. Nicht umsonst lassen auch Hollywood-Stars wie Julia Roberts, Madonna oder Catherine Zita-Jones in den Pausen die Nadeln klappern, laut einem Artikel im Handelsblatt.

Auf jeden Fall bekommt man gute Laune beim Stricken. Davon kann ich mich bei einem Besuch bei der Naberner Strickgruppe selbst überzeugen.

Es ist Montag Nachmittag, die Sonne scheint und ich mache mich mit ein paar Fragen und meiner Kamera im Gepäck auf den Weg zur Strickgruppe. Sieben Frauen sitzen schon im Kreis und lassen die Nadeln klappern, als ich dazu stoße. Vorab wurde ich angekündigt, so dass es niemanden verwundert, als ich jetzt auftauche.

Ich habe mich darauf eingestellt, dass bei meinem Eintreffen der Gesprächsfaden der Frauen erst einmal abreißt und eine peinliche Stille entstehen könnte. Aber da kenne ich die Frauen schlecht. Tatsächlich schauen sie mich nur kurz an und lächeln mir freundlich zu, während unaufhörlich die Nadeln weiter klappern.

Ich komme erst gar nicht dazu, meine Fragen zu stellen, die Informationen fließen wie von selbst – ich muss nur noch mitschreiben.

„Sicher willst du wissen, wie lange es diese Strickgruppe schon gibt“, werde ich gefragt. Sofort kommt eine wilde Diskussion in Gang. Sind es schon 30 Jahre? Oder mehr? Anhand der Kinder wird versucht, die Zeit in Scheibchen zu zerlegen. Schließlich kommen die Frauen überein, dass es bestimmt schon 35 Jahre sind!

„Angefangen haben wir doch, als Geld für die neue Orgel gebraucht wurde“, gibt eine zu bedenken.

„Das lässt sich ja herausfinden, wann die alte Orgel Stück für Stück und Orgelpfeife für Orgelpfeife verkauft wurde. Damals gab es einen großen Bazar, zu dem außer unseren Handarbeiten auch Holzarbeiten und vieles mehr gefertigt und verkauft wurden. Auf jeden Fall war das zu Pfr. Kupplers Zeiten.“

Einig sind sich dann wieder alle, dass Margret Ederle die Strickgruppe ins Leben gerufen hat und bei ihr die Fäden zusammen liefen. Bis heute ist sie es auch, die für die tolle Wolle sorgt, die dann gemeinsam verstrickt wird. Ich frage Margret, wo sie die Wolle kauft. Während sie weiterstrickt antwortet sie nur kurz und mit einem alles erklärenden Wort: „Edeka“. „Die Wolle von dort ist ganz gut und jetzt werden sowieso vorwiegend einfarbige Socken gekauft“, fährt sie nach einer kurzen Pause fort. „Höchstens noch ein unauffälliges Ringelmuster ist drin, aber keine allzu verrückten Farben“. Dunkle Farben gehen auch nicht, aber wohl eher deswegen, weil die Frauen dann die Maschen schlechter erkennen können.

„Früher haben wir alles mögliche gestrickt, auch Schals, Handschuhe und richtig aufwendige Sachen, wie Puppen oder Decken“. „Genäht haben wir auch schon, z.B. Kuchentaschen“, wirft eine der Damen ein. Ach ja, die Kuchentaschen – da kommen jede Menge Erinnerungen auf.

„Aber in den letzten Jahren gingen die Socken einfach am Besten. Außerdem sind sie ganz praktisch zu stricken, denn man kann jederzeit aufhören und wieder anfangen“, weiß eine Strickerin.

„Socken für Erwachsene, Größe 38 bis 45, sind am Begehrtesten. Seltsamerweise werden Kindersocken nicht so gern gekauft“, meint eine andere leicht verwundert. Woran das wohl liegen mag, weiß keine so genau. Vielleicht sind für Kinder und Jugendliche Stricksocken einfach uncool? Schade eigentlich, denn jedes Paar Socken ist ganz einzigartig und vor allem im Winter gibt es nichts Besseres als warme Wollsocken, finde ich.

„Wie viele Socken werden denn an einem Brot-für-die-Welt-Bazar verkauft?“ will ich wissen. „Früher waren es immer 60 bis 70 Paar Socken!“, meint Margret Ederle. „Aber letztes Jahr waren es nur 40 Paar.“

Wenn man hochrechnen würde, wie viele Socken also die letzten 35 Jahren verkauft wurden, würde eine höchst beachtliche Zahl heraus kommen und ich bin tief beeindruckt.

„Wie stricken Sie denn die Ferse?“, frage ich in die Runde.

Es stellt sich heraus, dass vier der Damen die so genannte „Bumerang-Ferse“ bevorzugen, die anderen stricken nach der „herkömmlichen Methode“. Ich frage lieber nicht genauer nach, wo die Unterschiede liegen, da ich sowieso keine Ahnung habe und mich nicht unnötig blamieren will.

Die Frauen finden es so schon unverständlich, dass ich überhaupt nicht stricken kann.

Offen gestehe ich, dass ich während meiner Schulzeit immer versucht habe, meine Handarbeiten mit nach Hause zu nehmen, so dass meine Mutter die angefangenen Teile fertig machen konnte.Auf diese Art und Weise bekamen wir beide dann auch immer eine sehr gute Note.

Ja, da nicken die Frauen, denn das kennen sie auch von ihren eigenen Kindern.

„Kann man denn auch nur einmal in eure Gruppe kommen, um sich zeigen zu lassen, wie man z.B. eine Ferse stricken kann?“ frage ich weiter. Auf diese Frage ernte ich heftigstes Kopfschütteln und allgemeines Gemurmel.

„Natürlich kann man jederzeit zu uns kommen“, meint eine Strickerin, „aber mit einem Mal kann niemand lernen, wie man eine Ferse strickt. Das geht nicht so einfach!“ Das sehe ich ein. Mir wird schon vom Zusehen schwindelig, so schnell stricken die Damen mit ihren fünf Nadeln im Kreis herum.

Wobei Margret nur mit vier Nadeln strickt. Ob sie eine Nadel verloren hat?

„Mit vier Nadeln klappert`s nicht so“, ist ihre Begründung dazu.

„Früher war das durchaus ein Argument, als die Nadeln noch aus Stahl waren, dick und schwer. Heute jedoch sind die meisten Nadeln aus Plastik, sie sind leicht, liegen gut in der Hand und die Wolle rutscht besser als auf Stahl- oder Holznadeln. Aber jeder arbeitet eben ganz individuell“.

„Ach, wisst ihr noch“, will eine der Frauen wissen, „dass man früher ein Beilaufgarn für die Ferse und den Ballen mitgestrickt hat?“

„Ja, das stimmt, aber heute braucht diese Verstärkung niemand mehr. Die Socken halten auch so lange genug und wenn sie mal durchgelaufen sind, freut man sich auch über ein neues Pärchen“.

Der Gesprächsfaden reißt bei den Frauen jedenfalls nie. Kein Wunder, wenn man schon so lange miteinander „verstrickt“ ist.

Gerade erzählen sie, dass vor 12 Jahren die letzte Strickerin zu ihrer Gruppe dazu stieß. Ich hake ein und will wissen:

„Wäre denn ein Mann in eurer Runde genau so willkommen wie eine Frau?“

„Ein Mann war noch nie in unserer Runde“, murmelt eine und eine kurze Pause entsteht.

„Ich weiß, dass die jungen Männer diesbezüglich keine Berührungsängste mehr haben“, nimmt eine andere den Gesprächsfaden auf. „Ein Bekannter von mir hat auch gerne gestrickt. Also, wenn einer Lust hat, darf er gerne kommen, würde ich sagen“.

Die Zeit ist wie im Zeitraffer vergangen während die Socken ein ganzes Stück gewachsen sind. Jetzt ist es Zeit für ein Tässchen Kaffee und ein Stückchen Kuchen, meint die heutige Gastgeberin, und da lässt sich keine zwei Mal bitten.

Am Kaffeetisch lassen die Frauen noch weitere Erinnerungen hochleben und erzählen mir mit leuchtenden Augen auch von ihren sommerlichen Ausflügen auf die grüne Wiese, wo sie so gerne unter den mächtigen Obstbäumen im Schatten sitzen und ihre Nadeln im Rhythmus klappern lassen.

Während das Gespräch noch munter weiter geht, packe ich langsam meine Sachen zusammen und überlege mir dabei, ob ich nicht doch irgendwann einmal das Stricken lernen sollte…

P.S.: Leider ist die Strickgruppe zurzeit nicht mehr aktiv, aber Fragen und Anregungen können trotzdem gerne weiter gegeben werden (Stand: Sommer 2017).

Das Interview führte Diane Lübker, 2016