Claudia Nothelfer über „Die Kiste“

Lebensmittel gibt es im Überfluss! Und doch herrscht bei vielen Menschen Mangel. Die Tafeln bemühen sich um einen Ausgleich, können aber den großen Bedarf nicht alleine decken.
Seit längerer Zeit stehen deshalb in der Kirche und im Rathaus jeweils eine große Kiste, mal mehr, mal weniger gefüllt mit Lebensmitteln.

Was sich hinter der Aktion verbirgt, wie es dazu kam und warum sie so wichtig ist, können Sie in einem Interview mit Claudia Nothelfer lesen:

Claudia, du hast dich von Armut nicht abschrecken, sondern anziehen lassen und hast angefangen, die Aktion des Kirchheimer Tafelladens „s’Körble“ zu unterstützen. Kannst du uns erzählen, wie diese Unterstützung aussieht?

Wir haben hier in Nabern im Rathaus und in der Kirche jeweils eine große Kiste, in die jeder haltbare Lebensmittel hinein legen kann. Das Rathaus ist ja zu bestimmten Zeiten geöffnet und die Kirche den ganzen Sonntag über – wir haben ja die „offene Kirche“. Den Inhalt der Kisten bringe ich dann in den Tafelladen.

Wie oft fährst du mit Lebensmitteln beladen nach Kirchheim in die Henriettenstraße?

Ich würde die Lebensmittel noch viel öfter abliefern, wenn die Kisten öfters voll wären. – Also, das ist auch ein Appell an alle, dass sie sich wieder mehr daran erinnern, etwas hinein zu geben -. Ich würde sie gerne jede Woche leeren, aber das ist nicht immer realistisch, weil ich natürlich nur fahre, wenn dementsprechend viel drin ist.

Gab es einen konkreten Anlass oder einen Anstoß, dich dafür zu engagieren?

Ich hatte einen katholischen Gottesdienst besucht anlässlich einer Kinderhospiz-Ehrung und da stand ein großer Weidenkorb vorne. Nach dem Gottesdienst bin ich hin und hab´ nachgesehen, was drin ist. Ich war neugierig, warum der Korb dort steht. Auf einem Informationsschreiben konnte ich lesen, dass auf diese Art und Weise Lebensmittel für Bedürftige gesammelt werden. Da dachte ich: Mensch Meier! Da könnte die Kirchengemeinde Nabern auch etwas tun. Und daraufhin ist dann die Idee gewachsen.

Wo und wann war das?

Anfang 2015 war dieser Gottesdienst. Daraufhin hatte ich mich bei einer öffentlichen Kirchengemeinderatssitzung angemeldet, um die Idee vorzustellen. Es dauerte dann noch eine Weile, bis es schließlich umgesetzt werden konnte, so wie es jetzt funktioniert.

Hat die Kiste auch etwas mit deinem christlichen Glauben zu tun?

Auf jeden Fall! Ich denke: mir geht’s gut. Das muss ich sagen. Und ich denke, ein großer Teil von uns Nabernern geht es auch gut. Doch dann siehst du Menschen, die sich nicht einmal mehr ein Essen leisten können! Wir spenden immer für so große Geschichten. Fast jeden Abend sieht man im Fernsehen irgendwelche Katastrophen. Aber solche Geschichten, die gehen dann unter.

Bevor ich für diese Aktion irgendetwas unternommen hatte, machte ich mich natürlich gescheit und bin in den Tafelladen gegangen. Wenn du dort ankommst und siehst, wie viele die Treppe hinunter vor der Türe schon stehen, dann denke ich, da will ich was tun. Ich bin Christin und möchte einfach ein bisschen von dem was ich spüre und fühle weitergeben.

Claudia, hast du damit das Gefühl, dass du genug tust oder ist es immer zu wenig?

Also, ich würde mich gerne noch mehr irgendwo engagieren.

(Einschub: Schade, dass Sie nicht selbst hören können, was da alles in ihrer Stimme mitschwingt, denn diesen Satz sagt sie mit einer wahrhaft tiefen Inbrunst..)

Aber die Zeit ist momentan begrenzt, dadurch dass ich noch voll berufstätig bin. Aber so Aktionen wie die Kiste, das sind Kleinigkeiten, die jeder machen kann und da bring ich mich ein.

Aktiv bin ich auch in der Nachbarschaftshilfe der Diakonie. Da mache ich auch oft mehr, als zur eigentlichen Arbeit dazugehört und was ich eigentlich dürfte. Aber ich engagiere mich gerne. Wie gesagt, wenn mir mehr Zeit übrig bleiben würde, würde ich mich noch viel öfter engagieren. Also, das Engagement wäre da (lacht).

Vielleicht ist es auch gut, wenn man gewisse Grenzen hat, oder?

Ja, die musst du dir auch selbst setzen, denn irgendetwas bleibt auf der Strecke. Und wenn du im Berufsleben stehst, kannst du dich nicht noch in allen Richtungen engagieren. Das geht halt nicht.

Kannst du uns etwas mehr über den Tafelladen erzählen, wie er funktioniert, von wem er betrieben wird und welche Menschen in den Kirchheimer Tafelladen kommen?

Der Träger des Tafelladens ist das Deutsche Rote Kreuz. Die Mitarbeiter sind meist Ehrenamtliche. Inzwischen gibt es aber auch einen angestellten Mitarbeiter im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Die Spenden an den Tafelladen kommen zum Teil von Privatpersonen, wie von uns, aber auch von 20 bis 30 Firmen im Umkreis.

Wenn die Spenden angeliefert werden, müssen sie zu einem günstigeren Preis ausgezeichnet werden, denn die Sachspenden werden weiter verkauft. Familien oder Einzelpersonen, die im Tafelladen einkaufen dürfen, leben vom Arbeitslosengeld II oder haben eben unter 700 Euro im Monat Einkommen, leben also von Sozialhilfe. Sie bekommen dann einen entsprechenden Nachweis, der sie berechtigt, dort einzukaufen.

Im Moment gibt es 750 Personen in Kirchheim, die das Angebot in Anspruch nehmen. Momentan kommt noch die Flüchtlingsgeschichte dazu. Und das habe ich jetzt auch schon erlebt, dass sich das Publikum verändert hat. Da sind wirklich viele Ausländer und vor allem viele junge Männer.

Letztes Mal musste ich durch eine richtige Menschenmenge durch bis eine ehrenamtliche Mitarbeiterin auf mich zukam und sagte: „Kommen Sie mit nach hinten“. Vorne war es richtig unheimlich, weil es ein ganz kleiner Verkaufsraum ist, ganz eng und unten im Keller in der Feuerwehrwache. Wenn da die Menschen so in Massen stehen, kann man leicht Panik bekommen. Das war schon ein bisschen unheimlich.

Geht die Verteilung immer friedlich von statten?

Ja, die Tür steht offen, aber bevor nicht das OK kommt, dass geöffnet ist, gehen die Menschen nicht hinein. Sie stehen in der Schlange und warten. Es läuft schon friedlich ab.

Wann ist der Tafelladen geöffnet?

Die Öffnungszeiten sind dienstags, donnerstags und freitags. Vormittags und nachmittags. Klar, montags nicht – da ist’s leer. Da kommen dann erst wieder neue Lieferungen. Manchmal können die Mitarbeiter während der Woche die Regale gar nicht so schnell einräumen, wie sie wieder leer geräumt werden.

Welche Lebensmittel werden am häufigsten nachgefragt?

Auf jeden Fall die Grundnahrungsmittel, also Mehl, Reis, Nudeln, Haferflocken,…, wirklich Sachen, aus denen die Leute etwas machen können. Natürlich auch Konserven, Gläser, keine Frage. Aber keiner muss etwas qualitativ Hochwertiges kaufen. Wenn ich z. B. beim Billigdiscounter  ein Kilogramm Mehl und ein Päckchen Haferflocken kaufe, dann gebe ich nicht einmal einen Euro aus! Das musst du dir mal vorstellen. Und die Menschen dort bekommen das und freuen sich. Also das ist schon Wahnsinn.

Was wird in Nabern in die Kisten gegeben? Oder ist der Inhalt von Woche zu Woche völlig unterschiedlich?

Das ist unterschiedlich. Aber hauptsächlich werden die Lebensmittel gespendet, die ich am Anfang auf so einer Art Plakat beworben habe, wie die Grundnahrungsmittel, also viel Nudeln, Mehl und Haferflocken, aber auch Konserven. Quer Beet eben. Die Leute haben, denke ich, verstanden, um was es geht. Frische Lebensmittel gehen nicht. Das bekommen die Menschen von übrig gebliebener Ware von verschiedenen Discountern. Ware, die sie dort nicht mehr verkaufen können, wie Salat und solche Sachen. Das müssen sie also von uns nicht auch noch zusätzlich bekommen.

Hast du auch schon kuriose Geschichten im Zusammenhang mit der Kiste erlebt?

Ja, das war letztes Mal, als die Kiste noch während der Winterkirche hier im Gemeindehaus stand. Ich kam hier her, redete noch mit Ursel Ziegler, sah in die Kiste und sagte:  „Du, hier hat’s Feinstrumpfhosen drin!….? Was mache ich jetzt damit???“ Das war mir so peinlich. Ich dachte, Mensch Meier! Was versteht man denn nicht, wenn ich sage: Lebensmittel!? Und jetzt lagen da teure Feinstrumpfhosen, richtig gute! „Also, ich weiß auch nicht – ich brauch’s nicht.“, sagte ich zu Ursel.

Und dann bin ich mit einem richtig blöden Gefühl in den Tafelladen gefahren. Als ich dort angekommen bin, sagte ich stotternd: „Äh, ich hab da…. Aber ich kann nichts dafür, das geben die Leute halt da rein in die Kiste….“. Da nahm mich die Mitarbeiterin an der Hand, zeigte mir ein Regal und sagte: „Seit wir die Flüchtlinge hier haben, nehmen wir liebend gerne auch Kleidung an“.

O Gott, da ist mir ein Stein vom Herzen gefallen. Und ich hatte schon so geschwitzt und stand da mit hoch roten Backen. Ich hätte die Feinstrumpfhosen ja auch nicht weg werfen oder behalten können. Ich war so froh, als die Mitarbeiterin sagte: „Schön. Das bekomme ich sicher gleich los“. Das war dann wirklich schön (lacht).

Als Fazit dieser Geschichte höre ich aber heraus: trotzdem lieber Lebensmittel in die Kisten packen, oder?

Auf jeden Fall! Das ist das Wichtigste.

Jeder von uns geht doch auch mindestens einmal die Woche einkaufen. Und wenn ich einen Apell machen darf, dann sage ich: Mensch Meier, jedes Mal wenn ihr durch einen Supermarkt geht und Nudeln kauft, nehmt ein Päckchen mit und steckt es in die Kiste rein. Oder Zucker. Oder was auch immer. Einfach etwas haltbares. Und dann ist so vielen geholfen! Uns macht das nicht arm. Aber jemand anderen macht es unheimlich glücklich – satt vor allem!

Wünschst du dir noch etwas für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass die Kiste jede Woche knalle voll ist! Dass jeder ein bisschen was abgibt für die, die es brauchen. Dann lohnt es sich, dass ich nach Kirchheim fahre. Ich mache das ja gerne. Und ich wünsche mir, dass die Leute wirklich aufgerüttelt werden. Dass sie sagen: ja, es ist so wenig, was ich tun kann, wirklich so so wenig. Aber ich will mich trotzdem daran beteiligen.

Claudia, ich danke dir für dein Engagement und für das Interview und wünsche dir Gottes Segen für alles, was du anpackst. Vielen Dank.

Gerne.

Kaum haben wir unser Gespräch beendet, muss Claudia zu ihrem nächsten Termin. Aber zuvor schaut sie noch in die Kiste. Ein paar Lebensmittel liegen wieder bereit. Schnell sind sie für den Transport in eine handlichere Tragetasche gepackt und schon ist sie wieder unterwegs. Ich bleibe zurück mit einem Vorsatz, künftig bei meinen Einkäufen mehr an den Tafelladen zu denken.

Übrigens werden Alkohol, Tabakwaren sowie der Gesundheit und umweltschädliche Waren nicht angeboten.

 

Und noch einige Informationen aus dem Internet, die Sie vielleicht auch interessieren:

Der Kirchheimer Tafelladen ist entstanden aus einer gemeinsamen Initiative des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und Diakon Hug von der katholischen Gesamtkirchengemeinde. Es werden ständig ehrenamtliche Helfer und Lebensmittelspender gesucht! Die Idee der „Tafel“ ist nicht neu. In vielen Ländern Europas, in Deutschland aber auch in den USA (Food-Banking), versucht man Menschen, die von Armut bedroht oder betroffen sind, mit einem derartigen Angebot Entlastung zu verschaffen.

Die erste deutsche Tafel entstand 1993 in Berlin. Die erste Tafel in Württemberg entstand im März 1995 im Leonhardtsladen in Stuttgart. Solche Tafeln gab es auch in früheren Jahrhunderten. Ulrich, Bischof von Augsburg, wurde unter anderem auch dafür bekannt, daß er Speisungen für Arme – sogenannte „Ulrichs-Tafeln“ – eingerichtet hat.

Und der Bundesverband Deutsche Tafel e.V. schreibt: Immer mehr Menschen werden in unserer Gesellschaft ausgeschlossen, weil sie akut von Armut betroffen sind. Sie fühlen sich zunehmend „ausgegrenzt“, da eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben heutzutage i.d.R. immer mit „Geldausgeben“ verbunden ist. Kürzungen sozialer Leistungen schmälern die Budgets der Empfänger staatlicher Sozialleistungen immer mehr. Mittlerweile fehlt es bei Menschen mit geringem Einkommen häufig am Nötigsten. Dazu gehören wieder Lebensmittel. Sonderausgaben sparen sich die Hilfeempfänger von dem Wenigen ab, was ihnen zur Verfügung steht, z.B. beim Essen.

Dabei sind immer mehr Menschen auf die günstigen Lebensmittel angewiesen. Rund 700 regelmäßige Kunden hat die DRK-Tafel, Tendenz steigend. Die meisten von ihnen, rund 60 Prozent, sind Hartz IV-Empfänger. „Es kommen aber auch immer mehr Flüchtlinge“, sagt Klaus Roth. „Wir brauchen dringend mehr Ware. Sonst bekommen unsere klassischen Kunden immer weniger“, sagt Aniela Zajac. Schon jetzt müsse sie häufig einschreiten, um dafür zu sorgen, dass die Ware gerecht verteilt wird. (25.11.2014 Der Teckbote)

(Artikel und Interview von Diane Lübker, 2017)